Dienstag, 24. April 2012

Persönlicher Raum (Teil 1)

"Jemandem zu nahe treten" oder "respektvollen Abstand wahren" - es gibt in unserer Sprache unzählige Hinweise auf körpersprachliche Phänomene, die sich auf den persönlichen Raum um uns herum beziehen und wie wir von ihnen beeinflusst werden. Doch was ist der persönliche Raum überhaupt? Warum ist er für uns so enorm wichtig? Und warum reagieren wir eigentlich so extrem auf Menschen, die nicht den richtigen Abstand zu uns halten?

Um den persönlichen Raum wirklich verstehen zu können muss man erst einmal wissen, woher der Begriff überhaupt kommt. Sich des physischen Raumes um unseren Körper bewusst zu sein war für uns schon seit Urzeiten wichtig, um rechtzeitig auf Gefahren und potentielle Angreifer reagieren zu können. Der Raum, den wir als "unseren" Raum wahrnehmen ist also zuerst einmal ein Überlebensmechanismus unseres Körpers!

Man sieht diese Eigenschaft des Raumes übrigens am allerbesten bei wilden Tieren : du würdest es niemals wagen, einem Löwen zu Nahe zu treten, oder? Er würde aufs Schärfste auf dein Eindringen reagieren und dich im schlimmsten Fall sofort attackieren! Wie sieht es bei einem Reh aus? Es rennt weg sobald es dich in einer unmittelbaren Umgebung wahrnimmt und dich als Gefahr einstuft...

Wir Menschen funktionieren eigentlich nach wie vor auf die selbe Art und Weise. Wenn jemand den wir nicht gut genug kennen (oder den wir absolut nicht ausstehen können) uns zu sehr auf die Pelle rückt, reagiert unser Körper unweigerlich mit seinem Überlebensinstinkt. Unbewusst bereiten wir uns darauf vor, mit dem Eindringling zu kämpfen oder schnellstens zu flüchten. Diese Reaktion nennt sich "Fight or Flight" oder auf Deutsch : Kampf oder Flucht. Dieser Begriff wurde 1915 von Walter Cannon, einem amerikanischen Physiologen eingeführt. Das Wissen um diesen Überlebensinstinkt macht es uns einfacher zu verstehen, warum wir manchmal so extrem auf andere Menschen reagieren.



Kampf / Flucht



Die Menschen um uns herum werden von unserem Gehirn ununterbrochen in Schubladen gesteckt und kategorisiert. Wenn jemand uns freundlich erscheint und nichts zu verbergen hat (z.B. seine Handflächen zeigt, Blickkontakt hält...) ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass wir ihn näher an uns heran lassen. Im Vergleich dazu darf jemand, den wir nicht sofort einschätzen können, niemals so nahe an uns heran! Da wir im Falle eines Angriffs genug Zeit bräuchten, uns effektiv zu verteidigen, sollten wir unserem Körper dankbar für seine ununterbrochene Wachsamkeit sein. Das "ungute" Gefühl, dass sich einstellt, wenn uns jemand den wir nicht kennen zu Nahe tritt, ist schlicht und ergreifend das Adrenalin, welches unser Körper ausschüttet. Erhöhter Puls, beschleunigte Atmung, Schwitzen und die Umverteilung des Blutes in Arme und Beine bereiten uns optimal auf eine Kampf/Flucht Situation vor.





Unser persönlicher Raum lässt sich in 4 Zonen aufteilen : Intime Distanz, Persönliche Distanz, Gesellschaftliche Distanz und Öffentliche Distanz. Obwohl die genaue Größe der einzelnen Zonen von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist, sind die einzelnen Bereiche in der Regel für verschiedene Kategorien von Personen reserviert :


Intime Distanz (0-60cm) : gute Freunde, Partner, Familie, Menschen die wir wirklich mögen und denen wir vertrauen

Persönliche Distanz (60cm-1,50m) : alle oben stehenden, Kollegen mit denen wir sehr gut klar kommen (aber die nach wie vor Kollegen sind und nicht Freunde!), Menschen die wir kennenlernen und mit denen wir uns sofort verbunden fühlen

Gesellschaftliche Distanz (1,40m-4m) : formelle Kontakte, Kunden, Mitarbeiter, Kollegen, Menschen dir wir gerade erst kennenlernen, gesellschaftliches Beisammensein

Öffentlich Distanz (über 4m) : alle, die sich am Rande unseres persönlichen Raumes aufhalten, manchmal verbale Kommunikation, manchmal nicht (unser Nachbar den wir nicht mögen, mit dem wir aber trotzdem ein paar Worte über den Gartenzaun hinweg wechseln...), auch wenn jemand eine Rede hält wird er mindestens diesen Abstand zu seinem Publikum bevorzugen


Und so funktioniert das ganze für gewöhnlich : in der Sekunde, in der wir jemanden das erste Mal sehen, wird der oder diejenige von unserem Gehirn sofort als gefährlich oder ungefährlich eingestuft! Wenn der Andere diesen ersten Test bestanden hat, darf er unsere gesellschaftliche Zone betreten und Kontakt mit uns aufnehmen. Wenn alles gut klappt und wir uns mögen, verändert sich unsere Körpersprache und der Abstand zwischen uns beiden wird sich je nach Persönlichkeit verringern. Signale die anzeigen, dass jemand in unserem Raum willkommen ist sind unter anderem : offene Haltung, keine Barrieren, Blickkontakt, Lächeln und manchmal auch Berührungen (vor allem beim Flirten). Er oder Sie befindet sich nun in unserer Persönlichen Zone und genießt ein gewisses Maß an Sympathie und Vertrauen von uns und umgekehrt.

Wenn wir jemanden allerdings nicht gut leiden können werden wir versuchen, so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu schaffen, ohne den anderen dabei direkt zu beleidigen oder unhöflich zu sein. Sollte es uns nicht möglich sein, den physischen Abstand zu verringern so steht uns eine große Anzahl an Signalen zur Verfügung, um uns vor einem potentiellen Angriff zu schützen und uns ein Gefühl von Sicherheit zu geben : verschlossene Körperhaltung, Armbarrieren, Beinbarrieren, Kinn nach unten richten und den Körper wegdrehen. Die Armbarriere und das nach unten gerichtete Kinn sorgen dafür, dass unser empfindlicher Hals und unsere inneren Organe geschützt werden! Den Körper wegzudrehen sorgt dafür, dass wir im schlimmsten Fall sofort wegrennen können! In manchen Fällen werden wir sogar Aggressiv und verteidigen unseren Raum um jeden Preis, notfalls durch einen Angriff oder Wegschubsen. Dies passiert oftmals, wenn unsere Hemmungen und unsere soziale Konditionierung ausser Kraft gesetzt werden, zum Beispiel durch die Mischung von Alkohol und verletztem (männlichen?) Stolz! :-)

Alles in allem solltest du nun einen guten Überblick über unseren persönlichen Raum haben und die Hintergründe zu unserem Verhalten verstehen. Es gibt noch viel mehr zu entdecken und ich werde sicher noch mehr über den Raum und unser Verhalten schreiben. Wenn euch etwas bestimmtes interessiert dann schreibt mir einfach einen Kommentar und ich werde auch darüber gerne einen Artikel schreiben.

Marc

4 Kommentare:

  1. Sehr anschaulich beschrieben. Ich arbeite viel mit traumatisierten Menschen, die oft überhaupt kein Gefühl mehr haben für ihren eigenen Raum. Leider ist das Wissen über Distanzgrenzen nicht so verbreitet. Wie auch immer: schöner Artikel.

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  2. Vielen Dank für den Kommentar! :-) Inwiefern fällt es traumatisierten Menschen schwer, mit Raum umzugehen?

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  3. Sehr anschaulich... Ich mache gerade ein Referat über Distanzzonen und deine Beschreibungen unterscheiden sich von den meisten sehr allgemeinen Beschreibungen. Danke!

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  4. Sehr interessanter Blog Schade, dass es keine Posts mehr gibt. Ich bin zur Zeit auf der Suche nach Ideen, wie ich meinem fünfjährigen Sohn die nonverbale Kommunikation näherbringen kann. Es fällt ihm schwer Blickkontakt zu halten, weil er Mimik und Körpersprache nur schlecht interpretieren kann. In der verbalen Kommunikation ist er super. Letztlich ist doch die nonverbale Kommunikation nur eine Sprache, die man wenn schon nicht intuitiv dann zumindest systematisch erlernen kann.

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